Zwei Frauen in blauer Burka laufen in Kabul an einem durch Schüsse beschädigtem Haus vorbei.

Nach Taliban-Machtergreifung Keine Einreise über Afghanistan-Aufnahmeprogramm

Stand: 17.09.2023 11:43 Uhr

Nach der Machtergreifung der Taliban in Afghanistan hat die Bundesregierung besonders gefährdeten Staatsbürgern die Einreise nach Deutschland über ein Aufnahmeprogramm zugesagt. Doch die bisherige Bilanz wird zur Nullnummer.

Vor genau elf Monaten startete die Bundesregierung das sogenannte Aufnahmeprogramm für besonders gefährdete Menschen aus Afghanistan. Es sollte Betroffenen, die nach der Machtergreifung der militant-islamischen Taliban mit Verfolgung rechnen mussten, eine Einreise in die Bundesrepublik ermöglichen. Doch bisher ist noch niemand über das Programm nach Deutschland gelangt.

Diese Bilanz geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervor. "Die ersten Einreisen werden derzeit vorbereitet und sollen zeitnah erfolgen", heißt es darin.

"Wir werden unsere Verbündeten nicht zurücklassen"

Das Ziel, ein Aufnahmeprogramm für Menschen aus Afghanistan einzurichten, hatten SPD, Grüne und FDP bereits in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben. Darin heißt es:

Wir werden unsere Verbündeten nicht zurücklassen. Wir wollen diejenigen besonders schützen, die der Bundesrepublik Deutschland im Ausland als Partner zur Seite standen und sich für Demokratie und gesellschaftliche Weiterentwicklung eingesetzt haben.

Neben ehemaligen sogenannten Ortskräften sollen auch Staatsangehörige von dem Programm profitieren, die sich für Frauen- und Menschenrechte eingesetzt haben oder wegen ihrer Tätigkeit in Justiz, Politik, Medien, Bildung, Kultur, Sport oder Wissenschaft besonders gefährdet sind. Auch Menschen, die wegen ihres Geschlechts, der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität, ihrer Religion oder wegen besonderer Umstände des Einzelfalles verfolgt werden.

Zudem soll den Angehörigen der Betroffenen über den Familiennachzug die Einreise nach Deutschland gewährt werden. Pro Monat sollen maximal 1.000 Personen über das Programm in die Bundesrepublik kommen.

Aufnahmezusage für mehr als 44.000 Betroffene

Auf der Internetseite des Bundesinnenministeriums heißt es, dass insgesamt mehr als 44.000 als besonders gefährdet geltende Afghaninnen und Afghanen sowie deren "berechtigten Familienangehörigen" eine Aufnahme in Deutschland in Aussicht gestellt worden sei. Dazu zählen demnach mehr als 25.200 ehemalige Ortskräfte mit ihren Familien und des Weiteren mehr als 18.800 besonders gefährdete Personen, "die die Bundesregierung mit Hilfe der Zivilgesellschaft identifiziert hat und die wegen ihres Engagements für ein demokratisches Afghanistan einer besonderen individuellen Gefährdung ausgesetzt sind".

Bereits vor dem Start des Programms waren fast 26.000 Ortskräfte und besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen sowie deren Angehörige in Deutschland aufgenommen worden. Ende März dieses Jahres warteten noch etwa 12.600 Betroffene in Afghanistan auf ihr Visa und die Ausreise. Hinzu kamen fast 1.500 Betroffene, die bereits aus Afghanistan in den Iran oder nach Pakistan geflüchtet waren.

Bisher nur 20 Visaverfahren aufgenommen

Wer eine Aufnahmezusage erhalten hat, muss trotzdem noch das Visaverfahren durchlaufen - und seit Ende Juni zudem eine Sicherheitsbefragung. Ende März hatte die Bundesregierung die Visavergabe und Einreise vorübergehend gestoppt, da es Hinweise auf "Missbrauchsversuche" des Aufnahmeverfahrens gegeben habe.

Seit dem Start des Programms wurde bisher lediglich für 20 Betroffene das Visaverfahren aufgenommen, nachdem sie die Befragung durchlaufen hatten, wie aus der Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Linksfraktion hervorgeht. Die Wartezeit für Angehörige, die per Familiennachzug einreisen wollen, um einen Termin für das Visaverfahren zu erhalten, liegt demnach derzeit bei etwa einem Jahr.

"Das ist eine unterirdische Bilanz", kritisierte Clara Bünger, die fluchtpolitische Sprecherin der Linksfraktion. Sie warf die Frage auf, "ob der Bundesregierung überhaupt noch an einer ernsthaften Umsetzung des Aufnahmeprogramms gelegen ist oder ob sie darauf wartet, dass das öffentliche Interesse an dem Thema nachlässt, um es anschließend klammheimlich im Sande verlaufen zu lassen".

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 28. Juli 2023 um 07:48 Uhr.